Interview: Eric Hoch und Andre Schnabel mit MacGadget 2004
MacGadget: Herr Schnabel, bitte erzählen Sie unseren Lesern etwas zur Geschichte von OpenOffice.org.
Andre Schnabel: Die Geschichte von OpenOffice.org reicht einige Jahre zurück, und beginnt weit
bevor der Begriff OpenSource seine heutige Bedeutung erlangte. Mitte der 80er Jahre begann Marco Börries damit,
Office-Software zu entwickeln. 1986 gründete er dann in Hamburg die Firma StarDivision und StarOffice wurde über
Jahre hinweg zu einem erfolgreichen Office-Paket.
1999 wurde StarDivision dann von Sun Microsystems aufgekauft und in
Verbindung damit auch alle Rechte und Quellcodes von StarOffice. StarOffice wird seitdem von der
Firma Sun weiterentwickelt und vertrieben; von Anfang an wurde aber daran gearbeitet, die Quellcodes
frei zur Verfügung zu stellen. Das geschah dann am 13.10.2000 und das Projekt OpenOffice.org war geboren.
Seitdem wächst die Entwickler- und Nutzergemeinschaft beständig. Im Mai 2002 konnte die erste stabile Version,
OpenOffice.org 1.0, veröffentlicht werden, im Oktober 2003 folgte die Version 1.1, die verschiedene Neuerungen
und Detailverbesserungen mit sich brachte.
MacGadget: Wie ist der aktuelle Stand in Sachen OpenOffice.org?
Andre Schnabel: Die aktuelle Version ist OpenOffice.org 1.1.4, welche auf verschiedenen
Plattformen in zirka 40 Sprachen verfügbar ist. OpenOffice.org 1.1.4 bietet alle zentralen
Funktionen eines Office-Paketes, einen sehr guten Datenaustausch mit Microsoft Office und
anderen Datenformaten und Features wie PDF- oder SWF-Export, die für andere Office-Pakete
nicht selbstverständlich sind. OpenOffice.org wird beständig gepflegt und mit Updates versorgt,
die Entwickler konzentrieren sich aber auf die Version 2.0. Voraussichtlich Anfang 2005 wird es
eine erste Betaversion und im Frühjahr 2005 die fertige Version geben.
MacGadget: Können Sie etwas zur Verbreitung von OpenOffice.org sagen? Wie viele Nutzer gibt es in etwa?
Andre Schnabel: Die Frage nach den Nutzerzahlen können wir leider nur ganz grob beantworten, denn wir
"kontrollieren" unsere Anwender nicht. Seit der Freigabe der Version 1.0 haben wir zirka 30 Millionen
Downloads über unsere Webseiten gezählt. Dazu kommen Downloads über andere Sites, CD-Beilagen zu
PC-Zeitschriften, Linuxdistributionen (die praktisch alle OpenOffice.org enthalten) sowie PC-Systeme,
die mit OpenOffice.org vorinstalliert sind. Schätzungen zum Marktanteil schwanken zwischen drei und 15 Prozent.
MacGadget: Für welche Plattformen steht OpenOffice.org zur Verfügung? Ist der Funktionsumfang auf jeder Plattform identisch?
Eric Hoch: OpenOffice.org gibt es momentan für die Plattformen Windows, Linux, Linux/PowerPC, Linux/Sparc, Solaris/Sparc,
Solaris/Intel, Mac OS X, FreeBSD/i86 4.10 und 5.3, IRIX (aktuell nur die 1.0.3),
und über externe Entwickler für OS/2 beziehungsweise dessen Nachfolger, die die
Windows-Version über die Emulation integriert haben.
Für die aktuelle 1.1.xer-Reihe ist der Funktionsumfang auf allen Plattformen
im Wesentlichen identisch. Für Windows, Linux und Solaris ist der Umfang auf
jeden Fall identisch, sofern die offiziellen Pakete von OpenOffice.org genommen werden.
Einzelne Linuxdistributionen ergänzen, entfernen, bearbeiten die Pakete für ihre Distribution,
so dass es hier im Vergleich zum offiziellen Paket zu Abweichungen im Funktionsumfang kommen kann.
Abweichend davon funktionieren für die Mac OS X-Version die Patches für das Einfügen von Sound
aktuell nur mit Xfree 4.4.0, da Apple's X11 einen Bug hat, der dies verhindert. Zusätzlich existiert
für den Mac-Build kein Plugin zum Einfügen von Videoclips.
MacGadget: Wie groß ist die OpenOffice.org-Entwicklercommunity?
Andre Schnabel: Fasst man den Begriff Entwickler sehr eng und zählt nur Programmierer,
kommt man auf eine Zahl von etwa 150 bis 200. Neben der Programmierung gibt es aber bei
uns wesentlich mehr Aufgaben, wie zum Beispiel Übersetzung der Software und der Dokumentationen,
Qualitätssicherung, Anwenderunterstützung und das Erstellen von Beispieldokumenten oder Vorlagen.
Auch Pressearbeit und Marketing erfordert viel Arbeit und es freut uns, dass wir
hierbei sehr aktive Helfer haben. Zählt man all dies zusammen, kommt man auf über tausend
Helfer, die in den verschiedensten Teilen der Welt regelmäßig bei OpenOffice.org mit anpacken.
MacGadget: Welche Vorteile hat OpenOffice.org gegenüber dem Marktführer Microsoft Office?
Eric Hoch: Die Transparenz eines OpenSource-Projektes. Der gesamte Quellcode,
das verwendete Dateiformat, die Spezifikation des verwendeten StarBasic, die gesamte
Kommunikation auf den Mailinglisten des Projektes und die Schnittstellen zum Anbinden
externer Programme liegen offen und sind für jeden Interessierten einsehbar. Die Schnittstellen
basieren auf den offiziellen, von den Gremien verabschiedeten Standards und wurden nicht
um eigene proprietäre Elemente ergänzt. Sollte dies doch notwendig gewesen sein, so liegt der Sourcecode offen.
OpenOffice.org darf ohne Verletzung der Lizenz auf allen Computern
in einem Haushalt und einer Firma installiert werden sowie Kursteilnehmern,
Schülern, Studenten, jeglichen anderen Privatpersonen, sowie den eigenen Arbeitnehmern
ebenfalls ohne Lizenzverstoß mitgegeben und von diesen wiederum beliebig oft kopiert werden.
Außer den Kosten für einen Download beziehungsweise bei Dienstleistern die
Aufwandsentschädigung plus eventuell anfallende Porto und Verpackungskosten
fallen keine weiteren Kosten für die Nutzung von OpenOffice.org an.
OpenOffice.org wird wie KOffice und andere OpenSource-Projekte in zukünftigen
Versionen das offene Dateiformat OASIS unterstützen, welches einen einheitlichen
plattform- und programmmübergreifenden Datenaustausch auf Basis eines einheitlichen
Dateiformates bietet. Es gibt hier keine proprietären Ergänzungen des Dateiformates.
MacGadget: Können Sie OpenOffice bezüglich Features, Stabilität und Bedienung auch für den professionellen Einsatz in Firmen empfehlen?
Eric Hoch: Ja. OpenOffice.org bringt zwar keine eigene Datenbank mit (dies wird sich bei der kommenden Version 2.0 ändern),
kann aber an jegliche vorhandene Datenbank angebunden werden.
Auf den Web-Seiten des deutschen Projektes gibt es How-To's zum
Anbinden von MySQL, PostgreSQL, MaxDB (ehemals SAP DB) und Access.
Zusätzlich bietet OpenOffice.org im Vergleich zu Microsoft Office mit
Draw ein Vektorzeichenprogramm, das unter Umständen ausreichende Funktionalität
bietet, so dass auf die Anschaffung eines separaten Vektorzeichenprogramms verzichtet werden kann.
Hinsichtlich der Bedienung ähnelt OpenOffice.org dem Marktführer. Trotzdem sollte vor dem Umstieg eine
Schulung der Mitarbeiter durchgeführt werden. Ein wichtiger Unterschied, der beim Umstieg zu berücksichtigen ist,
ist das auf Vorlagen basierende Formatierungskonzept von OpenOffice.org und die für Microsoft Office-Anwender
stellenweise ungewohnte Anordnung von Funktionen in Menüs und Symbolleisten, sowie die Anordnung der Symbolleisten
selbst. Bei den Symbolleisten wird in der Version 2.0 eine Annäherung an Microsoft Office stattfinden.
Das bisher im Funktionsumfang gegenüber PowerPoint eingeschränkte Präsentationsmodul Impress erfährt
für die 2.0 ebenfalls eine Generalüberholung.
MacGadget: Kommen wir nun zum Mac-Port. Wie waren hier die Anfänge?
Eric Hoch: Die Anfänge des Mac-Ports liegen bei Sun. Eine Gruppe von Sun-Entwicklern,
zu denen Patrick Luby gehörte, sollte Star/OpenOffice.org nach Mac OS X portieren.
Diese Portierung wurde später von Sun eingestellt und in die Hände unabhängiger Entwickler
gegeben, namentlich waren und sind dies Dan Williams und Edward Peterlin. Zusammen mit
anderen portierten Dan und Ed die 1.0.xer-Versionen unter Verwendung von X11 auf den Mac.
Da ich zum Zeitpunkt der Fertigstellung der 1.0.3, der ersten offiziellen OpenOffice.org-Version
für Mac OS X, kurzzeitig involviert war, kann ich sagen, dass aus meiner Sicht, Dan, Ed, asxless
und Terry Teague damals die Hauptarbeit, die in der Anpassung an den doch etwas eigenen Apple-Compiler
und andere Mac OS X-Eigenheiten sowie Bugfixes bestand, leisteten. Ich konnte eigentlich nur sagen,
ob die europäischen Umlaute mal wieder nicht funktionieren und ob das Drucken klappt oder nicht.
Ungefähr zur Zeit der Fertigstellung der 1.0.3 wurde NeoOffice geboren, das unter GPL gestellt
wurde und als experimenteller Zweig diente, um zu testen, welche Anpassungen und Ideen an der
1.0.3er Codereihe und späteren Codereihen für eine Carbon/Cocoa-Version von Mac OS X notwendig
sind. Zum gleichen Zeitpunkt wurde von Patrick Luby eine Java-basierte Version von NeoOffice,
die er NeoOffice/J nannte, initialisiert, die für die Javaimplementierung von Mac OS X hin optimiert
wurde, da nicht Sun sondern Apple Java an Mac OS X anpasst und dabei stellenweise eigene Wege geht.
Als die Portierung der von OpenOffice.org 1.1 auf PowerPC-Linux soweit stabil war, half Kevin B. Hendricks,
die Portierung nach Mac OS X zu beenden. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt stieg ich, dank eines jetzt
endlich ausreichend schnellen Power Macs G4 wieder ein, da ich den deutschsprachigen Mac OS X-Nutzern
eine komplett lokalisierte Version von OpenOffice.org zur Verfügung stellen wollte. Anfangs war ich
zunächst froh, dass ich überhaupt OpenOffice.org kompilieren konnte und schaffte es später immerhin,
Kevin und Eric Bachard, der ebenfalls im Laufe der Fertigstellung der Portierung der 1.1.0 hinzustiess,
dahingehend zu unterstützen, dass ich ihre Patches und die von Dan und Ed durch Anwendung des Patches und
Kompilieren des gepatchten Sourcecodes dahingehend verifizieren konnte, dass sie es entweder ermöglichten den
Buildprozess fortzusetzen oder die gewünschte Funktionalität lieferten. Kevin passte hauptsächlich den von
Dan und Ed in Issuezilla (das an Bugzilla angelehnte Fehlermelde- und -verfolgungprogramm von OpenOffice.org)
abgelegten 1.1.x er Code an und erledigte Anpassungen und Aufräumarbeiten die notwendig waren nachdem es von
Apple neue Entwicklertools gab. Auch der Buildprozess wurde weiter verfeinert und für Mac OS X optimiert,
so dass im Endergebnis OpenOffice.org direkt aus dem CVS auch unter Mac OS X kompilierte.
Im weiteren Verlauf wurden die Druckeranbindung an Mac OS X, die Fontverwaltung, die Scanneranbindung
und die Einbindung von Soundclips verbessert. Auf dem Linuxtag in Karlsruhe wurde schließlich die Version
1.1.2 als erstes vollständig deutschsprachiges OpenOffice.org für Mac OS X und X11 - inklusive eines
einfacheren Installers - vorgestellt. Es folgten die Versionen 1.1.3 (komplett lokalisierter Installer,
ein um eine FAQ erweitertes Readme) und 1.1.4 (mit überarbeitetem Readme) - beide jeweils
plattformübergreifend mit zahlreichen Bug-Fixes.
MacGadget: Wie sehen die Zukunftspläne für OpenOffice im Allgemeinen und für den Mac-Port im Besonderen aus?
Eric Hoch: Die Zukunftspläne sehen so aus, dass um die CeBit 2005 herum oder kurz danach,
die Veröffentlichung der Version 2.0 von OpenOffice.org geplant ist, die als große Neuerungen
die Unterstützung des offenen Dateiformates OASIS, Verbesserungen bei der Anbindung von
Datenbanken und mit der Java-basierten HSQLDB erstmals eine eigene Datenbank mitbringt,
wobei ich nicht weiß und es meines Wissens nach noch unklar ist, in welcher Form dies
geschehen wird. Möglich ist einmal die Auslieferung im Hauptpaket mit OpenOffice.org
selber und einmal die Möglichkeit eines optionalen Downloads zusätzlich zum eigentlichen
OpenOffice.org Paket. Überarbeitet wurden auch die Module Impress und Draw, die eine komplett
neue Engine bekamen.
Die StarBasic-Syntax wurde hinsichtlich besserer Anpassung vorhandener
VBA-Makros überarbeitet. Die Oberfläche erfuhr ebenfalls eine Überarbeitung dahingehend,
dass jetzt Widgets zur Verfügung stehen, die in KDE, Gnome und andere Fenster-/Desktopmanager
nativ verwendet werden können und nicht mehr die OpenOffice.org-eigenen Widgets benutzt werden müssen.
Für den Mac-Port sieht die Zukunft zunächst einmal so aus, dass es notwendig ist,
die aktuellen Milestone-Builds der 680er Reihe soweit fertig zu stellen, dass sie
direkt aus dem CVS heraus kompilieren und wir damit den Anschluss an die Plattformen
Windows, Linux und Solaris finden. Damit wären wir vom Mac-Portingteam dann auf dem
Papier in Sachen Features und Neuerungen mit den anderen Plattformen gleichgezogen.
Allerdings ist aus dem Grund, dass es bisher keine 680er Milestonebuilds für Mac OS X gibt,
nicht klar, ob die neuen Features und Überarbeitungen der Version 2.0 auch in der
Mac OS X-Version funktionieren.
MacGadget: Warum wird es laut der aktuellen Roadmap erst im Jahr 2006
eine an die Aqua-Benutzeroberfläche angepasste Version von OpenOffice.org geben?
Viele an OpenOffice.org interessierte User schreckt X11 ab...
Eric Hoch: Der Grund für den späten Zeitpunkt einer echten Aqua-nativen Version
von OpenOffice.org für Mac OS X ist, dass es derzeit einfach niemanden gibt,
der dem Mac-Port den entscheidenden Stoß Richtung Cocoa/Objective-C und damit
Aqua-nativ gibt und bereit ist, die Verantwortung für den Cocoa-Port zu übernehmen.
Technisch sind durch die neuen Widgets die Voraussetzungen für den nativen Cocoa-Port
gemacht worden, doch zeigt die von Ed und Dan mit NeoOffice gewonnene Erkenntnis,
dass es mit den Widgets und deren Anpassung an Mac OS X und dessen Aquaoberfläche
alleine nicht getan ist, sondern dies erst der Anfang und es mit der Umsetzung der
Apple Human Interface Guidelines noch lange nicht zu Ende ist. Diese genannten und
andere notwendige Anpassungen machen große Mac OS X-spezifische Umschreibungen
des Sourcecodes notwendig. Das Ganze ist eben mehr als die Summe seiner Teile.
Daher wird auf absehbare Zeit NeoOffice/J, das auf dem gleichen Code wie
OpenOffice.org basiert, die nativste Version für Mac OS X bleiben. Hier wird
von Patrick, Dan und Ed die Aqua-Integration vorangetrieben und mit dem Patch für
Aqua-native Menüs ist ein weiterer Schritt in Richtung mehr Aqua gemacht.
MacGadget: Gibt es zwischen den OpenOffice.org-Entwicklern und Apple eine Zusammenarbeit?
Eric Hoch: Meines Wissens nach nicht.
MacGadget: Wie jedes Open Source-Projekt ist auch OpenOffice auf die ehrenamtliche Mitarbeit angewiesen.
In welchen Bereichen können Mac-User - und hier insbesondere Programmierer - mithelfen,
OpenOffice zu einer noch besseren Alternative zu Microsoft Office werden zu lassen?
Eric Hoch: Mithelfen können Mac-User eigentlich überall,
da vieles nicht Mac-spezifisch ist. Ich würde mir aber wünschen,
dass ich ein paar der Aufgaben - momentan bin ich auf dem Mac fast
alleine Mädchen für alles - abgeben könnte. Hilfreich war, dass Uwe Altmann
die Überarbeitung des Readme übernahm und Joerg Sievers nun für die
Qualitätssicherung zuständig ist. So könnte es weitergehen. Vor allem würde
ich gerne jemanden finden, der die Builds der Bugfixreleases der jeweils
aktuellen Versionsreihe übernimmt, so dass ich mich voll auf kommende Versionsreihen
und deren Alphas, Betas etc. konzentrieren könnte - oder auch umgekehrt.
Für das internationale Projekt wäre es sicherlich gut, einen,
ich nenn ihn mal Cocoa-Gott, zu finden, der die Entwicklung und Portierung
in diese Richtung angeht, anführt und die Verantwortung dafür übernimmt.
Dieses Interview ist im Dezember 2004 auf den Seiten von MacGadget erschienen.
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